Observation on the short film SKAZKA (A fairy tale)
... Set up in a very familiar modern city ambiance, the film superbly establishes the obsession of a youth. His obsession is overwhelming. The object of his obsession is beauty, obviously feminine beauty. The directors sensitivity is reflected throughout the film. The searching gaze of the youth and the one of the camera often become identical. In such soft moving shots the director establishes his grip over the film language. The viewer enjoyes the smooth flow of images. This flowseems regulated by a considerable sense of inner rythm and the music reveals the rythmic movements of the images. The editing is simply charming...
Calcutta Univerity Film Study Centre, (Dr. Satyajit Chaudhury) 14. 3. 1998

Wo sich Ewiggestrige und Sehrheutige "Gute Nacht" sagen: Ein Film über das alte "ND"-Gebäude in Berlin
Schon oft dachte ich, man müsste endlich einmal das unterirdische Deutschland erforschen, in Nazi-Katakomben, Gestapo- und Stasi-Keller, Luftschutz- und Atombunker diverser Regierungseliten hinabsteigen, um der Archäologie unserer jüngeren Geschichte auf die Spur zu kommen. Aber Plattenbauten tun es auch, in Berlin jedenfalls, wo unser 100-jähriges Elend - sei´s in Trümmern oder Monumenten, wilhelminischen Pracht- oder realsozialistischen Zweckgebäuden - noch immer üppig wuchernd an die Oberfläche drängt und dem Tageslicht den Weg versperrt. __In Friedrichshain steht so ein Ding, hinter dem Ostbahnhof, in der Straße der Pariser Kommune, die wirklich noch so heißt, weil die kapitalistische Raserei nach der Wende einige Reminiszenzen an die historischen Alternativen großmütig am Leben ließ: ein realsozialistischer Zweck-Pracht-Plattenbau, der auch am Rande Moskaus oder in Nowosibirsk stehen könnte, in der DDR-Wirklichkeit aber das Neue Deutschland (ND) beherbergt hat. Das war ein aberwitziges Produkt, das äußerlich einer Zeitung ähnlich sah, aber keine war, sondern: das "Organ des Zentralkomitees der SED". __Der alte Standort ist heute in eine Zeitspalte gerutscht: halb danteske Vorhölle, in der die letzten Nichtbekehrten ihre schwarzen Messen feiern, halb Wartesaal zum kapitalistischen Glitzerparadies, wo junge "Kreative", Maler, Musiker, Computerkünstler und Soundmaschinen-Bastler sich für den Kunstmarkt fit machen. Sandra Prechtel aus München und François Rossier aus der Schweiz, beide in Berlin lebend, haben über dieses seltsame Quartier und seine ungleichen Bewohner einen wunderschönen Dokumentarfilm gemacht, den der MDR am vergangenen Mittwoch erstmals ausgestrahlt hat. __Der alte Kasten mit seinen endlosen Korridoren und halbleeren Büroetagen ist so abgrundhässlich, dass auch der geborene Optimist einer gewissen extremistischen Entschlossenheit bedarf - ob er nun auf den Sieg des Sozialismus in einer fernen Zukunft oder auf eine glanzvolle Karriere in einer nahen hofft. Wärme, Solidarität, Mitmenschlichkeit kommen da nicht so schnell auf - eher gespannte Wachsamkeit auf beiden Seiten. Jeder pflegt seinen Spleen, es herrscht die taubstumme Toleranz zwischen Parallelgesellschaften. __Der "rote Walter", letztes Fossil aus der ND-Zeit, lobt die deutschen Sekundärtugenden und verstreut noch immer seine Sinnsprüche aus Marxens Kapital, doch seine Munterkeit ist gespenstisch abgestanden, seine Kumpelei merkwürdig ausgeleiert. Ein sanfter Mensch sammelt bergeweise Verpackungsmaterial aus der DDR-Zeit und zeigt es unfroh der Kamera - warum, wozu? Ein junger Pianist, der schon New York gesehen hat, sinniert über sein Leben "in den Ruinen einer verstorbenen Gesellschaft", und eine Videokünstlerin trotzt zäh und traurig der "Verneinung" ihrer DDR-Kindheit durch diejenigen, die heute den Ton angeben. Nachts zieht der Pförtner seine einsame Spur durch die neonbeleuchteten Flure, eine Redakteurin beschwört noch einmal (und verabschiedet endgültig) die utopischen Hoffnungen nach der Wende von 1989, ein klassenbewusster Typ aus einem der vielen Vereine, die im Haus heute residieren, lobt die Kalaschnikow und erwägt ihre Nützlichkeit für die kommenden harten Zeiten. __So monadenhaft leben die Menschen im ehemaligen "Neuen Deutschland" oder im Deutschen Neuland, wie es die Filmemacher nennen, nebeneinander. Viel Altland - das Neue will so recht nicht werden. Unaufgeregt, nachdenklich und zur Einfühlung bereit betrachtet die Kamera die maroden Szenerien und wartet geduldig darauf, dass etwas passiert. Manchmal passiert etwas: eine Tür geht auf, und ein gebeugter Rücken schlurft über den Gang; Schultern, denen die politbürokratische Last der Jahre anzusehen ist. Jemand, der früher dem ND gedient hat und immer mal wieder vorbeischaut, schnuppert den alten "Geruch, der in den Fugen steckt und nicht rausgeht." Der Star des Films: ein früherer ND-Mitarbeiter, Parteimitglied war er nie (das fand er irgendwie lächerlich), stets pflichttreu, aber schwul und schon darum Außenseiter. Von seinem Balkon gegenüber dem ND-Bau beobachtete er mit dem Fernglas, wer ein und aus ging. Aus Versehen wurde er noch mit einem Orden ausgezeichnet, dann ging die DDR unter - und mit ihm sein Traum, im Innenhof eine Nische für seine Urne zu finden wie die Führer der Sowjetunion an der Kremlmauer. Heute gießt er seine Balkonpflanzen und lauscht weltabgewandt den herzzerreißenden Arien der Callas. __Ein stiller Film - auch dann, wenn elektronischer Sound durch die Gänge dröhnt. Ein Film, der mit ruhiger Kamera lauter Einsamkeiten protokolliert, sie unkommentiert nebeneinander stellt und jede einzeln für sich stehen lässt. Manchmal wird es dunkel im Film, weil die Beleuchtung im alten "Neuen Deutschland" nicht mehr richtig funktioniert. Manchmal geht es nicht weiter, weil der Paternoster ausgefallen ist. Und manchmal tritt Schweigen ein, dann helfen ein paar Klavierakkorde dabei, in die Ruhe hineinzulauschen. Ein stiller Film: So sind wir Deutschen nun einmal. Da hilft kein Geschrei.
Freitag, Berlin, (Klaus Kreimeier) 10. Dezember 2004

Bis man auch zum Käfer wird?
ND – Deutsches Neuland: ein Film im MDR über »Neues Deutschland«, das alte Haus

Dass die Welt für ihn hergerichtet sei, darauf kann der Mensch nicht bauen. Gegen diese Wahrheit baut er an. Wuchtet mächtig hoch, was Stein und Statik hergeben. Unbedingt schön ist das nicht immer – Macht ist zuerst Mut zur Hässlichkeit. Das erzählen politische Gesichter – und Herrschaftszentren. »Neues Deutschland« steht überm Plattenbau am Berliner Franz-Mehring-Platz. Der berühmt-berüchtigte Titel. Eine Kopf-Zeile: Hinweis darauf, dass hier von oben nach unten gedacht wurde. Nähe Ostbahnhof: Fahrplan-Produktion für den Zug der Zeit. Abgefahren inzwischen. Und das ND zog längst aus. Geblieben ist der Ort, den die Freaks des Morbiden »abgefahren« nennen würden.
Sandra Prechtel und François Rossier drehten einen 70-minütigen Film über dieses Gebäude. Beobachtungsklug. Bildsicher. Sensibel. Als grüben sie sich durch Grabplatten in eine Katakombe – in der überraschend Leben flimmert! Es gibt ein Dasein nach dem Tod! Gleichsam über unseren journalistischen »Leichen«, die da im Keller lagern. Treue Weggefährten, und sei es im Gedächtnis der Leser. Das Gebäude: Büros, Stiftungen, Werkstätten, Lebens- und andere Künstler. Freilich, »wenn die ganze Welt aus solchen Häusern bestehen würde ...«, sagt ein junger Mann lächelnd, ein New Yorker im ND-Gebäude, die Augen erzählen von der Lust am Abseitigen. Diese niederschmetternd langen Flure, diese überwältigende Leere, dieser Staub des Abrisses – gegen den hier und da ein nasser Besen wischt, als sei Staub besiegbar. Einer jagt mit dem Roller durch die Etagenödnis. Im Gitter-Fahrstuhl quietscht die defekte Deckenlampe. Ein Kind lacht, ein Hund bellt, ein Plakat ruft. »Gegen ein Europa der Monopole!« Eine UdSSR-Landkarte wird für den Müll zusammengerollt; auf dem Gang liegt ein Buch über Thälmann. Im Dächer-Dämmer-Himmel flieht ein Flugzeug den Ort. Und noch in tiefster Dunkelheit brennt hier immer irgend ein Licht. Schöner kann das Gespenstische nicht sein. Der Mond versucht aufzugehen, als sei er das Morgenrot.
Da ist der westdeutsche Produzent von Rhythmusmaschinen, der es wunderbar findet, hier mit so vielen Leuten »snacken« zu können, typisch Osten!, das hält aber auch auf, »ich muss ja Geld verdienen«. Einer sammelt DDR-Verpackungen, immer, wenn er im Bild ist, stürzt irgend was zusammen in seiner Rumpelkammer. Wer singt da so wunderschön »Partisanen vom Amur«? Der junge New Yorker spielt irgendwo Klavier und fürchtet, dass auch er hier, wie jeder, »irgendwann zum Käfer wird«. Ein Privatdetektiv, früher beim Wachregiment, dann Kriminalist im vereinigten Berlin, schließlich so gnaden- wie herzlos abgewickelt, bekennt, dass es ihm gut gehe – und er sich dennoch nicht wohlfühle im neuen Deutschland. Und der Mann vorm Zeitungsständer mit der kommunistischen UZ verteidigt die Kalaschnikow, denn »wir Arbeiter« müssen diese Gesellschaft vielleicht irgendwann »mit Gewalt ändern«. Da ist auch der ewig auf Hochtouren eingeschaltete, latzhosenrote ND-Öffentlichkeitsarbeiter, der noch immer in Kellernähe residiert, »immer im Einsatz«; untern Tannenbaum im Foyer legt er agitierisch gern das »Kapital« und die Platte »100 Jahre deutsches Arbeiterlied« – die der rührige Wachmann, einst bewaffnete Organe, aber »kein Betonkopf« wieder wegnimmt, denn so was gehört ja wohl »zu einer anderen Veranstaltung«. Und da ist auch noch der schwule Ex-Druckerei-Mensch, der im Plattenbau gegenüber wohnt und unter Callas-Arienklang beherzt selbstironisch davon erzählt, wie er am Frauentag auf einem Schiff der Weißen Flotte als Eintänzer für 200 alkoholisierte ND-Frauen agieren musste, »ich fürchtete, entmannt zu werden, wäre am liebsten in die schmutzige Spree gesprungen«. Und eine junge bildende Künstlerin sagt, »hier wird einem Kraft entzogen«, aber die »Verfolgten«, nein, das nimmt sie zurück, »die ehemaligen Angehörigen der Streitkräfte«, ja, die müssten doch auch Platz haben. Sie selber? Redet jung, aber auch von Verlust, alle ziehen weg, da »will ich wenigstens bleiben, die Verneinung nicht mitmachen.« Schicksale in Momentaufnahmen. Leben abseits des Standesgemäßen, ein bisschen Untergrund und noch mehr underground; hier wuchs zusammen, was nicht zusammenpasst, aber doch zusammengehört: Verlorene, Verworfene, Verwegene. Ein Film wie eine Marthaler-Inszenierung im Bühnenbild von Anna Viebrock: Zeit ist immer, was schon gewesen ist. Eine Erinnerungs-Insel inmitten eines deutschen Geländes, das gar keine Erinnerungen mehr weitergeben will. So viel Ausbleichung, so viel Auslöschung, so viel gieriges Grau in diesem Haus, aber: Umgeben von hoffnungslosen Zuständen und nüchternen Räumen, wuseln da die Boten eines wahrhaft neuen Lebens – Menschen nämlich, die sich unterscheiden. Deren Utopie in einer neuen Mythologie des Profanen besteht, in einer Arbeit, die ohne falsche Dekoration auskommt. Romantik eines rührenden »Trotzdem!«, gegen jede Form von Stilllegung. Die ja bereits dort beginnt, wo man sich der Ästhetik des Standesgemäßen anpasst. Alles hier in diesem nicht mehr ehrenwerten Haus: beängstigend real und doch hoch künstlich. Fremdheit, die einlädt. Wenn man jene Erfahrung nicht fürchtet, die als untilgbare Spur in den Wänden hockt.
Natürlich auch ein Film über unser Blatt, das heute nahe Treptow entsteht. Die Feuilleton-Redakteurin führt durch die ehemalige Redaktion. Der Sitzungssaal, nicht ihr Ort. »Wie klug, nicht Chef zu werden.« Traurige Gedanken folgen, über die eigene Ohnmacht, über den »armen entfremdeten Menschen«, der am Morgen die Zeitung aufschlug und denken musste, »er kriegt ’ne Ohrfeige verpasst«. Die wachsende Lähmung der Redakteure, »aber wie schnell man nach der Wende schreiben konnte!«
Wo früher »Zentralorgan« stand, steht ja heute »Sozialistische Tageszeitung«. Ein ungefährlicher, kaum subversiver Trotz. Ein Spruch, dessen interessanten Widerspruch niemand wirklich ernst nimmt: Denn wie viel VOR-Spiegelung darf sein – in einem Medium, dessen Aufgabe doch hauptsächlich WIDER-Spiegelung sei? Heute so übers Gestern schreiben, dass die Zeitung für den nächsten Morgen schon wieder auch das nächste Morgen ahnen lässt? Vor dem Gedanken würde man erschrecken, müsste man ihn tatsächlich konsequent denken.
Aber ach, ein bisschen These ans Kirchentor nageln, warum nicht, selbst wenn niemand mehr weiß, wo Gott wohnt. Ein wenig utopisches Vokabular als ein Schmerz milderndes Mittel gegen die Entzauberung. Welche die erste Wahrnehmungspflicht für jeden wäre, der die Dinge von Grund auf anders will. Volker Braun spricht vom Heute als dem »Feld der Niederlage, wo unser Brot wächst«. Das kann auch heißen: Wer – verführt vom rohen Zustand jetziger Welt – das Ende der DDR nur noch zum Betriebsunfall verklärt oder den Ex-Staat zum überrumpelten Opfer feindlicher Übernahmen macht, der verrät den Sozialismus schon wieder. Radikalkritik an dem, was einen damals im geschichtlichen Glück wog – das ist schwer. Schwerer ist, diese Radikalkritik an dem künstlich geschützten Gewesenen, an dem in freier Luft Verwesten, an dem durch uns selber Verwirkten nun aufrecht zu erhalten, nun, da man augenscheinlich unglücklicher ist. Schwerer? Schwerste aller Mühen – um vorwärts zu gelangen. Wieder hin zum Nullpunkt möglicher Aufbrüche, der noch gar nicht erreicht ist.
So steht die Feuilleton-Redakteurin im Film mit dem ND vor der Kamera, fast inständig verständnisbittend, sie zitiert aus einem Fühmann-Artikel von Gunnar Decker, da geht es um den sehr großen Schmerz des Scheiterns, der doch den Ton des Menschen verändern, ihn fragender machen möge. »Sozialistische Tageszeitung« – das ist einzig ein Auftrag zum Fragen. Ein Auftrag gegen den früheren Siegeston. Siegestöne wachsen einem ja furchtbar ein, wie ein Temperament. »Zentralorgan«, das war dieser feste Brustton der Überzeugung. »Sozialistische Tageszeitung«, das ist – so was gibt es! – die neue, aber hoffentlich vorsichtigere Überzeugung. Neue Überzeugungen sind nicht das Problem, das Problem ist (nach wie vor?!) der alte Brustton.
Soweit (so weit?) die ND-Utopie. Mit der die Feuilleton-Redakteurin beseelt, entrückt narrenheiter durch den Bröckel-Charme eines anziehend hässlichen Betontheaters geht. Dessen falscher Putz uns noch immer an den Schuhen klebt. Und der parteilose Ex-Druckerei-Mensch gesteht jetzt, fast augenzwinkernd: Weil er so an die Sache geglaubt habe, bis zum Schluss, streife ihn manchmal, freilich nur kurz, die Frage aller Fragen: Hast du vielleicht gar umsonst gelebt?
Gut, dass der Film spätabends läuft. Der richtige Moment für Geschichten, die aus der Zeit fallen. Nur Geisterstunde ist im Fernsehen Geist-Stunde. Wenn selbst die wichtigsten Tuer des Tages kein Handy mehr in der Hand haben. Der Film blamiert jeden, der mit Langsamkeit und untergründigen Stimmungen nichts anfangen kann.
Nach dem Abspann sagt der latzhosenrote ND-Werbetrommler dem Regisseur in die Kamera, was Kapitalismus ist: »Du bist ’ne Nummer, dich braucht keiner, mich braucht keiner, euren Film braucht keiner.« Freier kann keiner werden für einen ewigen Anfang. Einsamer auch nicht; wer »immer im Einsatz« ist, ist einsam. Aber das ist auch Überlegenheit. Haushoch. Abgründig also, sehr abgründig.
Neues Deutschland, Berlin, (Hans-Dieter Schütt) 07.12.04

Vergangenheit in jeder Fuge: Der MDR zeigt eine sehenswerte Dokumentation über das ehemalige Redaktionsgebäude des "Neuen Deutschland"
Irgendetwas muss schief gelaufen sein in der DDR, sagt der junge Mann aus New York. Man muss sich nur dieses Gebäude angucken. Also, wenn die ganze Welt aus solchen Häusern bestünde, sagt er und schweigt dann lieber, weil die Vorstellung wohl zu monströs ist. Der Musiker hat einen Raum im ehemaligen Gebäude des Neuen Deutschlands gemietet. Die Zeitung war das "Organ" des Zentralkomitees der SED, der Redaktionssitz ein Plattenbau in Berlin-Friedrichshain.
Heute bevölkern Menschen mit den unterschiedlichsten Berufen das Gebäude. Ein knappes Dutzend von ihnen lernen die Zuschauer der MDR-Dokumentation "ND - Deutsches Neuland" kennen: den Pförtner zum Beispiel, der früher, wie er sagt, "bei den bewaffneten Organen" gearbeitet hat; den ehemaligen DDR-Kriminalbeamten, der jetzt eine Detektei betreibt; den Unternehmer aus dem Westen, der Rhythmusmaschinen verkauft; den ND-Öffentlichkeitsarbeiter Walter, der einen Karl-Marx-Bart trägt und den auch sonst eine Menge mit dem Philosophen verbindet.
"Kennen lernen" ist indes zu viel gesagt. Die Autoren Sandra Prechtel und François Rossier reihen kommentarlos Interviewschnipsel aneinander und verzichten darauf, die Namen ihrer Gesprächspartner einzublenden. Man muss genau hinhören und -schauen, um zu erfahren, wer in welcher Beziehung zu dem Gebäude steht. Man sieht Menschen an Tischen russische Lieder singen. Im einstigen Ruheraum des einstigen ND-Chefredakteurs Günter Schabowski trifft man einen jungen Franzosen. Ein Schnauzbart erklärt, warum Arbeiter im Kapitalismus mit einer Waffe umgehen können sollten. Jemand verlangt von einem mobilen Imbiss eine Stulle und bekommt "so was Ähnliches", ein Ciabatta.
Einen Rahmen erhält das Ganze durch die Berichte zweier ND-Mitarbeiter. Der eine, inzwischen ausgeschieden, wohnt in einer Wohnung gegenüber dem Redaktionsgebäude. Er sei Außenseiter gewesen, erzählt der Mann fröhlich, weil er nicht in der Partei war und weil er schwul sei. Die andere, immer noch ND-Redakteurin, berichtet beim Gang durchs Gebäude von den widersprüchlichen Gefühlen, die sie damals erfüllten: Ohnmacht vor allem und die Hoffnung, doch im Kleinen etwas ändern zu können.
Liebevoll und aus ungewöhnlichen Kameraperspektiven betrachten die Autoren diese eigentümliche Welt hinter den Mauern des einstigen Propagandazentrums, in dem die Vergangenheit, wie einer der Mieter sagt, noch in jeder Fuge steckt. Und in den nach und nach die Gegenwart Einzug hält.
Berliner Zeitung, (Ralf Mielke), 8. 12. 2004

Zeit der Liebe
...Um Verführung geht es auch in Rossiers Film SKAZKA. Der 24 Minuten lange Film basiert auf einer Novelle von Vladimir Nabokov, der diese 1926 in Berlin schrieb. Hier geht es um einen jungen, hübschen Mann, der sich in eine junge und nicht weniger hübsche Kellnerin verliebt. Da der Junge aber hilflos und schüchtern ist und es sich sowieso um ein Märchen handelt, lässt er sich vom teufel verführen, in der Hoffnung, dadurch seine Liebesfantasien verwirklichen zu können...
In François Rossiers jüngster Regiearbeit CHATEAU DE SABLE spielt ein junges Mädchen die Hauptrolle. An einem Strand begegnet es einen sonnenbadenden Mann, der eine Fussballübertragung in polnischer Sprache hört.Aus diesen anscheinend harmlosen Gegebenheiten entwickelt Rossier eine surrealistische Atmosphäre, deren Intensität wie geschaffen ist für einen Kurzfilm.
"Jede Geschichte hat seine Länge", hat Rossier mal gesagt. Seine eigene Geschichte führte ihn 1992 nach London, wo er als Schulübung in der London International Film School LIQUID ASSETS drehte - einen radikaklen und zugleich burlesken Film über kapitalistische Ausbeutung...
TAZ, Berlin, (Yves Rosset) 5. 4. 2000

François Rossier á la carte
Ein Programm mit drei Kurzfilmen des vielseitigen Schweizer Regisseur François Rossier zeigt heute das Filmkunsthaus Babylon. Während CHATEAU DE SABLE und LIQUID ASSETS, die Geschichte eines Luxusrestaurants und der merkwürdigen Personen, die dort arbeiten, durch ihren schwarzen Humor bestechen, ist SKAZKA, basierend auf einer Kurzgeschichte von Vladimir Nabokov, ein wunderschönes, poetisches Märchen Über Liebe und Begierde...
Zitty, Berlin, (MM) 7. 4. 2000

Kinokultur: Kurzfilme von François Rossier und anderen
Nicht einfach Kurzfilme mit immer einer blöden Idee und einer blöden Pointe. François Rossier macht kurze Filme, die einen ständig denken lassen: Hier hat was die richtige Länge. Hier hat was seine erträglich einfache, kleine und bescheidene Form gefunden. Und gut. LIQUID ASSETS spielt in einem Gourmet-Restaurant, so abgerissen man das noch in Szene setzen kann. Eine Glasharte Novelle, im Schnitzler-Syle, nach Nabokov. Mit Kathrin Angerer. Danke. Und am Besten CHATEAU DE SABLE: zwei Darsteller, ein Dialog, acht Minuten. Unendlich, unheimlich und komisch. Dazu noch zwei von seinen Lieblingsfilmen und fertig ist der gelungene Abend. Wirklich. Garantie.
Filter-Popmagazin, Berlin, April 2000

Den Schweizer Film zum Thema machen: Ein Schweizer Filmpreis?
Einige Kandidaten für einen Preis haben wir schliesslich bei den Kurzfilmen gesehen, von denen hier ein paar summarisch genannt seien: SKAZKA, François Rossiers verspielte Transposition einer Nabokov-Erzählung in ein sommerlich-heiteres Berlin...
Neue Zürcher Zeitung, Zürich (Christoph Egger) 28. 1. 1997

Tendenzen in Solothurn 97
... Als erfreulischste Tendenz von Solothurn 97 lässt sich denn das Nachstossen junger Erzähltalente konstatieren... Die Welschen François Rossier (SKAZKA) und Vincent Pluss (LÕHEURE DU LOUP) fallen durch sensible Schauspielführung bzw. eine unbeschwerte Fabulierlust auf. Sie zeugen von einer Lust am Geschichtenerzählen, die handwerklich und technisch gekonnt umgesetzt wird. Da finden sich fast ausnahmslos glaubürdige Figuren, liebvoll eingesetzte Details und eine gute Portion Humor... Hier scheint eine ganze Generation im Anzug, auf deren nächste Filme man sich freuen kann.
Tages Anzeiger, Zürich (Andreas Furler) 27. 1. 1997

Prädikat: Besonders Buck: Regisseur François Rossier dreht in den ruinösen Kulissen Berlins den Märchenfilm SKAZKA. Stars sind auch dabei.
Das ganze Team lauscht angestrengt auf die Geräusche, die von der Strasse ins Café Asbest dringen. "Okay, den Laster lassen wir noch vorbeifahren", verkündet der Regisseur François Rossier. Stille Augenblicke sind selten an der Lehrter Strasse. Rund um den Drehort wird kräftig gebaut und saniert, schwere LKW fahren den ganzen Tag hin und her. Es dröhnt und wackelt noch einmal kräftig, dann kommt endlich das Signal vom Toningenieur: "All right, quiet now." Die nächste Einstellung kann gedreht werden: "SKAZKA- fünfzehn fünf, die erste."
SKAZKA ist ein Kurzfilm. Als Vorlage dient eine Erzählung von Vladimir Nabokov aus dem Jahr 1926. Benjamin, ein französischer Student, kommt in die Hauptstadt. Er ist schüchtern und wirft den Frauen in den Cafés und auf der Strasse nur verstohlene Blicke zu. Eines Tages erscheint Benjamin der Teufel in Gestalt einer alten Dame und bietet die Erfüllung einer Männerphantasie an: Er könne sich in den nächsten 24 Stunden den Harem seiner Träume zusammenstellen. Einzige Bedingung: Die Anzahl der Frauen muss ungerade sein. Benjamin begibt sich auf die Suche. Nur eine der Frauen, die er auswählt, liebt er wirklich - Sophie, eine Kellnerin. Trotzdem kann der einst ängstliche Benjamin nicht genug bekommen und such sich eine Frau nach der nächsten aus. Eine fröhliche Objektwahlorgie, die am Schluss in bittere Tragik umschlägt.
An Nabokovs Geschichte reizt den Regisseur François Rossier die Veränderung von Sinneswahrnehmungen: "In SKAZKA geht es darum, wie unsere Gefühle, unsere Wünsche und unsere Ängste die Wahrnehmung der Wirklichkeit steuern. Während er Frauen auswählt, beginnt Benjamin auf kleine Zeichen und Symbole zu achten - er deutet die Wirklichkeit nach seinen eigenen Wünschen um."
Im Film werden Kameraführung und Ton diese Zeichen hervorheben: Wenn Benjamin sich in der Strassenbahn für eine Frau interessiert, die sich aufreizend am Fuss kratzt, verkleinert die Kamera ein wenig den Bildausschnitt, und das Geräusch, das beim Berühren der Strümpfe entsteht, tritt aus dem Verkehrslärm hervor. Regisseur Rossier legt Wert auf die filmische Zeichensprache, weniger auf die Dialoge.
Bei dem Krach, der durch die Fenster in das Café an der Lehrter Strasse hineindringt, kann man sich weder subtile Semiotik noch einen Dialog vorstellen. Doch die Kulisse stimmt: SKAZKA ist das russische Wort für "Märchen", und Rossier möchte für seinen Film eine zeitlose, leicht verzauberte Atmosphäre, wie man sie aus einer Märchenerzählung kennt. Das Café Asbest ist mit seinen unsauber verklinkerten Wänden und ohne Zugeständnisse an den Zeitgeist der ideale Ort für die tragisch-gierige Liebeswahl Benjamins. Irgendwie ist es auch ein bisschen hässlich hier.
Dorian Rossel, ebenfalls ein junger Schweizer, spielt Benjamin. Er wirkt schüchtern, genau der Typ, der in Lokalen über ein Buch gebeugt die vorübergehenden Mädchen betrachtet. Ein bisschen verloren sitzt Rossel in einer Drehpause im Café neben seiner bildhübschen Filmpartnerin Sabine hagenbüchle. Die Daarstellerin der Sophie dolmetscht für ihn. Mit leiser Stimme erzählt er auf französisch, dass er sich in Berlin wie der Gaststudent Benjamin fühle: fremd, aber begierig auf Neues. Sein Blick wird aufmerksam, wenn er redet. Diesem Schauspieler traut man ohne weiteres zu, die richtige Mischung aus Melancholie und Lebenshunger in die ruinösen Kulissen von Berlins Mitte zu bringen.
SKAZKA ist eine deutsch-schweizerische Gemeinschaftsproduktions. In Berlin ist die "zero film", die unter anderem an Hal Hartleys FLIRT mitgearbeitet hat, zuständig. Obwohl die Produktionskosten unter 1.000.000 Mark liegen sollen, wird Rossiers Kurzfilm mit relativ grossem Aufwand gedreht: Neben Nachwuchsschauspielern aus der Schweiz und aus Deutschland sind nicht ganz billige Profis wie Kathrin Angerer aus dem Volksbühnen-Ensemble dabei. Der bekannteste Name auf der Besetzungsliste dürfte Detlev Buck sein, der die Rolle eines Fahrlehrers übernommen hat - mit Kathrin Angerer als Schülerin. "Buck gefiel die Geschichte sehr. Er hat sofort zugesagt", erzählt Herstellungsleiter Roland Schmidt, der früher schon einmal mit dem Regisseur von MÄNNER-PENSION und WIR KÖNNEN AUCH ANDERS zusammengearbeitet hat.
Wer sich über die Starbesetzung für einen Kurzfilm wundert, muss sich von François Rossier belehren lassen...
TAZ, Berlin (Kolja Mensing) 19. 9. 1996

Etat des lieux de l’intime.
L’intime n’est d’ailleurs pas l’apanage de ceux qui sont devant l’objectif. Le film de François Rossier aura renversé les normes, bousculé, surpris. Petit bijoux d’intelligence comique, DÉTOUR PAR CALCUTTA part à revers et brille par son défaut, sa tare : un film qui commence par perdre son sujet et finit par être poursuivi par celui-ci. Au départ documentaire sur le maire de Calcutta, il devient vite transgenre : journal de tournage, autobiographie, manifeste absurde et au final véritable merveille captant l’Inde pour ce qu’elle est - un fabuleux bordel ponctué de fureur à vivre, de bruits et de couleurs. Sans en avoir l’air, se laissant prendre au jeu et délaissant l’ironie, François Rossier filme un tourbillon de vie, d’histoires, et de fictions possibles.
Peau Neuve, juin 2005 (Stéphane Mas)

Quarante ans de lutte pour un cinéma suisse de qualité
Le Vaudois résidant à Berlin François Rossier s’est embarqué dans l’aventure farfelue de tourner un portrait du maire de Calcutta! Au cours d’un long montage, le documentaire a pris des allures de fiction, l’auteur même semble parfois s’y perdre – et le spectateur y trouve son plaisir. DÉTOUR PAR CALCUTTA contient des séquences réussies, d’heureux passages, des images volées captivantes.
Ciné-feuilles /Lausanne, février 2005 (Philippe Dériaz)

Le court de la semaine
Une plage déserte, une fillette, un homme allongé dans le sable. La petite s’amuse un peu, l’adulte ne bouge pas... Les neuf minutes de CHATEAU DE SABLE, jeu d’enfant á la gravité mature, sont gravées avec des moyens hors du commun pour un court métrage: pellicule 35 mm déployée en cinémascope couleur. L’idéal technique pour un récit simplissime et horizontal comme la ligne de découpe entre le ciel et la mer.
Le Temps, Lausanne, (Thierry Jobin) 9. 11. 2000

Au Festival de Vevey la compétition des courts métrages brille par son haut niveau
Réjouissons-nous de la qualité générale des courts métrages en compétition à Vevey. Il y a plein de talents prometteurs qu’on voudrait aussitôt armer des moyens de plus longues productions... Avec un court métrage intitulé LIQUID ASSETS, François Rossier témoigne d’un talent prometteur.
24 Heures, Lausanne, (Claude Vallon) 29. 7. 1994